Ein Tagebuch in Bildern – Max Schneider an West- und Ostfront (1940-1945) II – Proskurow (Chmelnyzkyj) und Mariupol in der Ukraine (1941/42)

Der zweite Teil des gemalten Kriegstagebuchs Max Schneiders führt im Herbst 1941 von Polen in die Westukraine und bis ans Asowsche Meer im Spätsommer 1942. An dieser Stelle geht ein herzlicher Dank an die privaten Sammler und die Kunstsammlungen Zwickau – Max Pechstein Museum (Sammlung Friedbert Ficker) für die Ermöglichung der Veröffentlichung der Arbeiten.

4. Region Proskurow/Chmelnyzkyj (Ukraine), Sept. 1941-Juni 1942

Bis Anfang August 1941 lässt sich Max Schneiders Aufenthalt auf dem SS-Truppenübungsplatz Heidelager nahe dem polnischen Dębica belegen. Der Überfall auf die Sowjetunion („Unternehmen Barbarossa“) lief da bereits seit anderthalb Monaten. Schneiders Einheit rückte vermutlich zwischen Mitte August und Mitte September 1941 auf sowjetisches Gebiet in die Ukraine vor. Eine Skizze eines russischen Geschützes bei Proskurow datiert auf den 24. September 1941. Danach klafft aktuell eine Lücke bis Mitte Januar 1942 im Werkverzeichnis. Erst ab dem 17. Januar bis zum 14. Juni 1942 belegen wieder zahlreiche datierte Arbeiten Schneiders Stationierung auf dem Fliegerhorst in der westukrainischen Bezirkshauptstadt Proskurow, etwa 240 km östlich von Lemberg/Lwiw. Die Stadt Proskurow gehörte bis Ende des 18. Jahrhunderts als Płoskirów zu Polen und trägt seit 1954 den Namen Chmelnyzkyj. Es ist nach heutigem Wissensstand wahrscheinlich, dass Schneider trotz der Lücke bei den Belegen im Herbst 1941 den gesamten Zeitraum eines dreiviertel Jahres in Proskurow verbracht hat.

Schneiders Skizzen und Aquarelle zeigen Szenen unmittelbar aus der Stadt. In mehreren Arbeiten hielt er den Fliegerhorst mit roten Klinkerkasernen und Wasserturm aus der Zarenzeit fest. Die Gebäude haben sich rund um die Hastello-Straße weitgehend bis heute erhalten (Lfd. Nr. 28, bereits im Jahr 2023 veröffentlicht, und Lfd. Nrn. 297, 298, 299). Östlich von diesem Gelände lag das Flugfeld, der heutige Stadtteil „Staryj Aerodrom“, der nun überwiegend mit Einfamilienhäusern bebaut ist.

Bereits im letzten Jahr veröffentlicht wurde das Bild einer Rundkirche (siehe Lfd. Nr. 104), die nun dank eines Hinweises einer Besucherin des Werkverzeichnisses und nach Abgleich mit alten Fotografien eindeutig als Mariä-Geburt-Kathedrale (Собор Різдва пресвятої Богородиці) in Proskurow identifiziert werden konnte. Der 1837 fertiggestellte Kirchenbau ist heute das älteste erhaltene Gebäude der Stadt, die im Krieg weitgehend zerstört wurde. Der ehemals streng-nüchtern klassizistisch gestaltete helle Rundbau mit dunklem Dach wurde vermutlich im Zuge der Renovierung um 1989 einer Umgestaltung unterzogen. Fassade und Dach sind heute in leuchtendem Himmelblau gehalten, auf der Kuppel des Kirchenraums und der des Turms wurde jeweils ein Türmchen mit goldener Zwiebel und orthodoxem Kreuz ergänzt. Die Kirche ist heute ringsum durch Wohn- und Geschäftsgebäude verbaut, ein schmaler Zugang ist über die Vaisera-Straße gegeben.

Bemerkenswert ist das Aquarell „Judenviertel (Proskurow)“ vom 07.06.1942 (Lfd. Nr. 316). Proskurow war bis 1942 ein bedeutendes Zentrum jüdischen Lebens in der Ukraine. Bereits im Bürgerkriegsjahr 1919 fielen 1.650 Juden einem Pogrom ukrainischer Kosaken zum Opfer. 1939 stellten noch über 14.000 Juden knapp 40 Prozent der Einwohnerschaft. Seit der deutschen Eroberung im Sommer 1941 setzte unmittelbar deren Verfolgung ein. Jüdische Bewohner wurden von den deutschen Besatzern in Ghettos zusammengepfercht und zu Zwangsarbeit herangezogen. Im November 1941 wurden über 5.000 Juden im Süden der Stadt erschossen. Gut ein Jahr später wurden noch einmal über 7.000 Juden ermordet, nur etwa 60 jüdische Einwohner Proskurows überlebten den Holocaust. Die vorgenannten Angaben entstammen folgenden Quellen: Götz Aly, Europa gegen die Juden 1880-1945, 2017, S. 166-170 und dem Eintrag zu Proskurow von Diana Voskoboynik, in: The United States Holocaust Memorial Museum Encyclopedia of Camps and Ghettos 1933-1945, Vol. 2 Ghettos in German-Occupied Eastern Europe, 2012, S. 1449-1451. Die Entstehungszeit von Schneiders Aquarell lag im Sommer 1942 zwischen den beiden großen Massenerschießungen. Die bis auf eine Person verwaiste Straßenansicht könnte eines der Stadtviertel zeigen, aus dem die jüdische Bevölkerung vertrieben wurde. Es könnte sich aber auch um eines der Ghettos handeln, dessen Bewohner tagsüber außerhalb, vor allem im Straßenbau, Zwangsarbeit leisten mussten.

Außerhalb der Stadt malte Schneider die Landschaft und Ortschaften der Umgebung. Es entstanden Darstellungen teilweise sehr ärmlicher strohgedeckter Bauernhäuser etwa in den umliegenden Dörfern Oleschyn, Zarichchya und Dubowa sowie der weiten Landschaft an den Ufern des Flusses Kleiner/Südlicher Bug, der die Stadt Proskurow durchfließt. Bei den Winterbildern ist ein Aquarell hervorzuheben, das die beeindruckende Himmelserscheinung des Zodiakallichts (oder Tierkreislichts) festhält, siehe Lfd. Nr. 304.

Schließlich sind die Porträts des mutmaßlich ukrainischen Wirtssohns in Oleschyn sowie zweier Kameraden zu nennen, die zumindest einigen der Personen aus Schneiders Umfeld in dieser Zeit ein Gesicht geben (Lfd. Nrn. 301, 302 und 303). Lesenswert sind die Kriegsschilderungen aus der Sicht eines deutschen Militärgeistlichen in der Novelle „Unruhige Nacht“ von Albrecht Goes, die kurz nach Schneiders Aufenthalt im Herbst 1942 in Proskurow spielt und später auch verfilmt wurde.

5. Region Mariupol (Ukraine), Juli-Sept. 1942

Ab dem Juli 1942 nahm Schneiders Einheit an der Operation „Fall Blau“ teil, dem zweigeteilten Vorstoß zu den Ölfeldern im Kaukasus und nach Stalingrad ab Ende Juni 1942.

Schneider zog das glücklichere Los, an dem erstgenannten Feldzug in den Kaukasus („Unternehmen Edelweiß“) teilzunehmen. Der weitere Kriegsverlauf führte ihn zunächst in die Hafenstadt Mariupol. Im Südosten der Ukraine am Asowschen Meer gelegen, war die Stadt bereits seit Herbst 1941 von der Wehrmacht besetzt. Von Juli bis Anfang September 1942 war Schneider hier stationiert. Es entstanden Ansichten von Gebäuden in der Stadt und den umgebenden Dörfern Staryj Krym und Ljapino. Mehrere Darstellungen des Fischkombinats mit großen hölzernen, in den Boden eingelassenen Fässern geben einen Eindruck von diesem für die Stadt wichtigen Wirtschaftszweig.

Mariupol war nur eine Zwischenstation auf dem Weg nach Süden, wo Max Schneider in Sichtweite des Berges Elbrus in der Umgebung des Kurortes Essentuki im Kaukasus einige Wochen im Herbst 1942 verbrachte, bevor hier zum Jahresende 1942 der deutsche Rückzug einsetzte – noch vor der Kapitulation von Stalingrad.

Alle neu eingestellten Arbeiten mit den Lfd. Nrn. 297-330 finden Sie hier im Werkverzeichnis.