Vom Kaukasus führt uns der vierte Teil des gemalten Kriegstagebuchs Anfang des Jahres 1943 zurück in die Ukraine, zu verschiedenen Stationen am Fluss Dnjepr (Dnipro, Дніпро) in der Mitte des Landes. Ein herzlicher Dank geht an die privaten Sammler und die Kunstsammlungen Zwickau – Max Pechstein Museum (Sammlung Friedbert Ficker), die die Veröffentlichung der Arbeiten ermöglichten.
8. Region Dnjepropetrowsk (Ukraine) – Pjatichatki (Feb.-März 1943)
Nachweislich bis Anfang Oktober 1942 war Max Schneider im Kaukasus eingesetzt, vermutlich jedoch bis zum Jahreswechsel 1942/43. Auf den 20. Januar 1943 datiert ein Aquarell aus dem südrussischen Taganrog zwischen Mariupol und Rostow am Don am Asowschen Meer. Von dort aus wurde Schneiders Einheit weiter nach Norden entlang des Stromes Dnjepr in die Zentralukraine verlegt. Vom 22. Februar bis zum 18. März 1943 belegen Arbeiten Schneiders Aufenthalt in der Kleinstadt Pjatichatki (Pjatychatky, Пятихатки – wörtlich übersetzt „fünf Hütten“), einem Eisenbahnknotenpunkt in der Region Dnjepropetrowsk, gut 100 km westlich von der Großstadt Dnjepropetrowsk (heute wie der Fluss kurz Dnipro, Дніпро genannt) und knapp 400 km südöstlich von Kiew. Hervorzuheben sind eine schöne winterliche Straßenansicht (Lfd. Nr. 360) sowie das ausdrucksvolle kleine Porträt eines traurig blickenden jungen Mannes, vermutlich eines Kameraden Schneiders (Lfd. Nr. 361).
9. Region Tscherkassy (Ukraine) – Rotmystrowka (April-Aug. 1943), Dnjepropetrowsk und Kiew
Mindestens vom 12. April bis zum 22. August 1943, also gut vier Monate war Max Schneider in dem Dorf Rotmystrowka (auch Rotmistrowka, heute Rotmistriwka, Ротмістрівка) nahe der Kleinstadt Smela (Смела, heute Smila, Сміла) in der Region Tscherkassy stationiert. Rotmystrowka liegt gut 200 km südlich von Kiew und 40 km südwestlich der Großstadt Tscherkassy (Черкаси) am Dnjepr. Unmittelbar am südwestlichen Dorfrand befand sich der Flugplatz, auf dem Schneider eingesetzt war. Hier kreuzten sich ebenfalls wichtige Eisenbahnlinien aus allen Himmelsrichtungen, die für die Versorgung der Truppen auch östlich des Dnjepr entscheidend waren.
In zahlreichen Skizzen und Aquarellen hielt Schneider die ursprüngliche Architektur einfacher, oft weiß getünchter Bauernhäuser mit kunstvollen Strohdächern fest (Lfd. Nrn. 364, 384). Immer wieder dienten ihm in dem Dorf auch mehrere Holzbrücken als Motiv (Lfd. Nrn. 365, 367). Im Laufe des Frühjahrs und Sommers verwandeln sich in Schneiders Bildern die braunen Felder und die Hausgärten mit ihren Obstbäumen zu einer blühenden Landschaft. Die vermeintliche Idylle mitten im Krieg bezeichnet er selbst auf der Bleistiftskizze eines Bauernhauses als „Glück hinter unserer Küche“ (Lfd. Nr. 368). Doch auch hier trügt der Schein. Bereits ein Jahr vor Schneiders Stationierung, im Januar 1942, wurden die verbliebenen acht jüdischen Familien Rotmystrowkas, die nicht rechtzeitig fliehen konnten, von den deutschen Besatzern in das Ghetto von Smela verbracht und waren wahrscheinlich unter den 512 Juden, die bei der Liquidierung des Ghettos im Februar 1942 von deutschen Polizisten und ihren ukrainischen Hilfskräften erschossen wurden. Die Angaben entstammen dem Eintrag zu Smela von Alexander Kruglov, in: The United States Holocaust Memorial Museum Encyclopedia of Camps an Ghettos 1933-1945, Vol. 2, Ghettos in German-Occupied Eastern Europe, 2012, S. 1603.
Unterbrochen wurde die Zeit in Rotmystrowka durch Aufenthalte in Dnjepropetrowsk und Kiew. Am 10./11. Mai 1943 entstanden in der Stadt Dnjepropetrowsk Zeichnungen der Dreifaltigkeitskathedrale (Свято-Троїцький собор, Lfd. Nrn. 378, 379) und eine bereits veröffentlichte Straßenansicht (Lfd. Nr. 33) mit für Schneider ungewöhnlich viel Staffage (Pferdefuhrwerk und Passanten). Am 29. Juni 1943 hielt Schneider die zerstörte Altstadt von Kiew in einer Buntstiftzeichnung fest (Lfd. Nr. 380), der bislang einzigen bekannten Arbeit aus dieser Stadt.
Alle neu eingestellten Arbeiten mit den Lfd. Nrn. 360-385 finden Sie hier im Werkverzeichnis.